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Zur Inszenierung: Rigoletto am Nordharzer Städtebundtheater

Liebe bis in den Tod

Susanne Knapp hat sich für ihre Inszenierung intensiv mit der Musikdramatik von Giuseppe Verdis Meisterwerk Rigoletto beschäftigt, sehr genau in die Arien und Ensembles, die Dramatik und Emotionen jenseits der Wunschkonzert-Melodien hineingehört.

Opernnetz, 22.11.2015 von Herbert Henning

Das Ergebnis ist eine Inszenierung, die als Kammerspiel auf sehr emotionale Weise die Liebe eines Vaters und das schmerzvolle Ringen um seine Tochter als Kernkonflikt in den Mittelpunkt stellt.

Es ist eine Liebe, die im Tod endet, und Rigoletto wird am Tod seiner Tochter mitschuldig. Knapp hebt die Konkretheit von Zeit und Ort auf. Gemeinsam mit Jakob Knapp als Bühnen-und Kostümbildner hat sie eine leere, schwarze Bühne gewählt, die fast ohne Kulissen das Düstere und Schmerzvolle des Geschehens vermittelt.

Minimalismus und Verfremdung erzielt sie durch Lichtwechsel und Masken, die der Chor als Hofstaat trägt. Der Fokus liegt auf den Menschen, vor allem auf dem Schicksalhaften und auf den Emotionen, die sie durch ihren Gesang zum Ausdruck bringen.

Knapp thematisiert aus der Sicht des Vaters Rigoletto die Angst um seine Tochter, die er vor den Einflüssen und Begehrlichkeiten einer menschenverachtenden Welt schützt.

Für diese ganz besondere Vaterliebe und den Konflikt, in den Gilda durch die Liebe zum Herzog wie in einen Strudel hinein gerissen wird, hat die Regie starke Bilder gefunden:

Ein Kinderbett mit Gitterstäben dient Gilda als Rückzugsort und auch als eine Art Gefängnis. Immer wieder erscheint Gilda als kleines Mädchen, ist eine Puppe, Metapher für das von Rigoletto beschützte Kind. Und diese Perspektivwechsel machen die Psychologie seines Denkens, Fühlens und Handelns mit dem, was die Musik an Dramatik und Emotionen vermittelt, mehr als deutlich.

Es gibt Momente dieser Aufführung, die treffen mitten ins Herz.

Während Rigoletto den korrupten Höflingen Cortigiani, vil razza dannata entgegen schmettert, sieht man im Hintergrund, wie unter den Augen der Höflinge der Herzog mit der hilflosen Gilda kopuliert.

Der musikalische Erfolg der Aufführung ist ein Triumph des Ensembles. Das gilt insbesondere für die Vorstellung dieses Abends, in der mit Romy Petrick als Gilda und Chang Xu als Herzog von Mantua zwei Hauptrollen mit Gästen besetzt werden müssen, und für Michael Korth als musikalischer Leiter der junge Solokorrepetitor Florian Kießling am Pult des Orchesters einspringt. Das allerdings mit Bravour. Im gelingt mit großer Dynamik und Sensibilität die Balance zwischen Belcanto und Dramatik. Dabei ist das Zusammenspiel zwischen Orchester und Bühnengeschehen, insbesondere in den großen Ensembleszenen, wie Un di, se ben rammentomi … Bella figlia del amore von herausragender musikalischer Qualität. Gijs Nijkamp als Sparafucile und Gerlind Schröder als Maddalena überzeugten durch eine starke Bühnenpräsenz. Klaus Uwe Rein ist ein stimmgewaltiger Graf Montarone, der den Höflingen seinen Fluch entgegen schleudert. Michael Rapke als Marullo, Norbert Zilz als Graf Ceprano sowie Tobias Amadeus Schöner als Borsa sind ein perfides Intriganten-Trio. Vom Publikum mit Ovationen gefeiert wird als Rigoletto Juha Koskela. Musikalisch und darstellerisch beeindruckt der Bariton vor allem durch Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit, durch Leidenschaft und grenzenlose Vaterliebe, für die er überzeugende körperliche Ausdrucksformen findet. Wunderbare Momente erlebt man in den Szenen Tutte le feste und Si, vendetta mit seiner Tochter Gilda. Sensationell ist die Einspringerin Petrick als Gilda, der man in keinem Moment eine Unsicherheit auf der Bühne anmerkt. Mit Bravour meistert sie nicht nur darstellerisch, sondern vor allem musikalisch die Partie. Mit blitzsauberen Koloraturen begeistert die junge Sängerin aus Dresden in der Arie Gualtier Maldè, mit inniger Leidenschaft im Duett mit Rigoletto Figlia! Mio padre. Und Xu vom Theater Meiningen als Herzog macht mit tenoralem Glanz vor allem mit den Arien Questa o quella und La donna é mobile Furore, kann allerdings im Spiel eine gewisse Unsicherheit nicht ganz verbergen.

Dass diese außergewöhnliche Situation in dieser Aufführung so überzeugend gemeistert wird, zeigt einmal mehr die Qualität und Disziplin des Musiktheater-Ensembles des Nordharzer Städtebundtheaters.

Mit minutenlangen standing ovations würdigt das Publikum im ausverkauften Theater in Quedlinburg die Leistungen des Ensembles.

Düsteres Seelendrama

Susanne Knapp inszeniert am Nordharzer Städtebundtheater „Rigoletto“ in aller Gnadenlosigkeit

Mitteldeutsche Zeitung, 10.11.2015 von Uwe Krauß
Halberstadt. Dieser Rigoletto hat den Freibrief, sich über alles und jeden lustig zu machen. Er ist der Narr – und er kommt als gequälte Kreatur daher. Dieser Bucklige hat eine schöne Tochter. Fängt er zum Lustgewinn seines Herzogs täglich gewerbsmäßig Schönheiten, hält der Alleinerziehende seine Gilda privat unter Verschluss. Zu welch quälendem Käfig wird da das hölzerne Gitterbett für Gilda!

Spötter wird zum Verspotteten

Rigoletto besitzt seinen Platz am Hofe, verspottet all die Gatten, deren Frauen der Herzog von Mantua ins Liebesnest holen läßt. Letztlich wird der Spötter zum Verspotteten, zur tragischen Figur, für die die Welt nur dunkel wie die von der Regiseurinnen-Schwester „Jakob Knapp“ gestaltete Bühne ist. Wie ein frisches Brandmal schmerzt der Fluch, den der greise Graf von Monterone, ein emotional sehr bewegender Klaus-Uwe Rein, eindrucksvoll über ihn sendet.
Und plötzlich schreitet der Hofnarr des Herzogs nicht mehr lästermäulig durch die Welt, sondern es wühlt und gärt in ihm. Denn das, was Monterones Tochter geschah, könnte auch seiner Gilda blühen.

Regisseurin Susanne Knapp lässt sich bei ihrer nunmehr fünften Inszenierung am Nordharzer Städtebundtheater, in Originalsprache und mit Übertitelung, ganz auf diesen Giuseppe Verdi ein. Da gibt es kein Drumherumgeschwurbel; Kompromißlosigkeit führt das Zepter, da findet sich nichts in dieser Oper, was Licht sendet, sieht man mal von den Blitzen in der Gewittermusik ab. Knapp&Knapp reduzieren als Regisseurin und Ausstatterin stark, versagen sich jede ablenkende Opulenz, Legen einen klaren Fokus auf die Akteure, auf das, was mit und in ihnen geschieht. So lenkt die zeitlose Optik den Zuschauer auch nicht von der grausigen Handlung ab: Gaze-Vorhänge, eine Treppe, Ein Leuchter, der vom Himmel schwebt, und die schnörkellosen Betten zum Liebesakt und als Gefängnis. Dafür entwickelt sie die Facetten im Handeln ihrer Akteure.

Juha Koskela spielt eine gequälte und sich quälende Kreatur, nachdem er aus seiner aalglatten-Mitverschwörer-Haut geplatzt ist. Sein Seelendrama greift sich Raum und ergreift den Zuschauerraum. Koskelas Januskopf, hier Instrument der Macht und dort liebender Vater, verändert sich.
Das erlebt der Zuschauer durchaus auch in der sängerischen Ausstrahlung des Baritons. In die Strahlkraft und Flexibilität mischt sich Brüchigkeit, die Zerrissenheit: hier die zarten Akzente im Zwiegespräch mit Gilda, dort die Härte, die der Gedemütigte verbreitet. Selten hatte Juha Koskela die Chance, diese Palette von Liebe, Tragik, Wut und Verzweiflung auszusingen. Dazwischen blitzt dann der Hauch von Humanität, auch wenn er längst vom Rachewahn getrieben in schicksalhaftem Strudel auf den Abgrund zuwankt. Er trägt Schuld am Tod der Tochter und bleibt gleichzeitig Opfer der höfischen Dekadenz.

Publikum spendet Szenenapplaus

Dieser Opernabend kreist um ihn als Titelhelden. Doch um diesen Koskela-Rigoletto ranken sich in Halberstadt Solisten mit großer stimmlicher Ausstrahlung, denen das Publikum immer wieder Szenenapplaus spendet. Die bühnenpräsente Runette Botha singt als Gilda glockenrein wie ihr weißes Kleid und virtuos die Paraderolle aller Koloratursopranistinnen. Ob ihr „Caro nome“ oder das zarte „Lassù nel ciel“ zum Schluss, da mischt sich mädchenhafte, schwärmerische Leichtigkeit mit naiven Mädchenträumen und Charisma. Sie opfert sich für ihre unendliche Liebe zum Herzog. Ihre anrührenden letzten Töne singt sie nicht aus dem Sack sondern aus dem OFF.
Der Herzog (Max An) nimmt sich auch diese unschuldige schönheit, die er in der Kirche entdeckt hat und der er sich als Student inkognito nähert. Der Sonnenkönig gleich gülden Gewandete hörnt Männer reihenweise. Mit einschmeichelnder Phrasierung umgarnt er Gilda wie Unzählige vor ihr. Max An darf den aus jedem Opernwunschkonzert bekannten Hit „La donna è mobile“ darbieten. Seine Stimme weist große Transparenz auf. An mischt stimmliches Feingefühl mit selbstbewußt-potenzprotziger Ausstrahlung, wirft Rosen und sich mit der liebeserfahrenen Maddalena aufs Bett. Ein gut geführter Tenor, dem der lyrische Tonfall nicht fremd ist und der die Höhen sicher erklimmt und dafür verdientermaßen kräftigen Applaus vom gestandenen Opern-Publikum erntet.
Gijs Nijkamp zeichnet seinen Sparafucile mit vollem Klang, äußerlich Mafiosi-ähnlich, seinem Auftraggeber Rigoletto durchaus loyal gegenüberstehend. Der maskierte, schwarz gewandete Chor wirkt stimmlich überzeugend und zeichnet darstellerisch mit an diesem düsteren Operndrama.

Gitterbett als Schutzraum und Kerker

Premiere der Verdi-Oper „Rigoletto“ in Halberstadt viel umjubelt

Volksstimme, 09.11.2015 von Hans Walter

Großes Musiktheater mit Verdis „Rigoletto“ in Halberstadt. Nach der Premiere am Nordharzer Städtebundtheater erhoben sich die Zuschauer im fast ausverkauften Haus wie ein Mann und spendet fast zwölf Minuten Applaus

Es war ein Triumpf des Ensembles, allen voran die multinationalen Sänger-Darsteller des Hofnarren Rigoletto (Juha Koskela), seiner Tochter Gilda (Runette Botha) und des Herzogs von Mantua (Max An). Das Hofleben ist intrigant und voller Fallstricke. Rigoletto greift kräftig ein – und hält dabei seine Tochter wie eine Gefangene, um sie in Reinheit und Unschuld zu schützen. Vergebens. Er wird an Entführung und Ermordung Gildas mitschuldig. Verbittert, einsam, schuldbeladen.

Konzentriert auf den Kernkonflikt
Die Regisseurin Susanne Knapp und ihre Schwester als Ausstatterin (Künstlername Jakob Knapp) verzichten auf die gewohnt opulente Sehweise, auf elegante Ballszenen und Ballett. Sie sind ganz auf den Kernkonflikt konzentriert: das tödliche Ringen eines Vaters um sein Kind. Die Gitterstäbe eines überdimensionalen Kinderbetts sind Schutzraum und Kerker zugleich; ein Kristallleuchter markiert den Hofstaat. Die Ballgäste beherrschen wie Lemuren die Szene. Bühnenbreite Gazevorhänge heben und senken sich wie Filter über Machenschaften, Ränke, Intrigen und Mord. Eine in Kostüm und Maske wertige Ausstattung. Eine intelligente schwarze Szenerie, offen für weite Assoziationen. Nichts Überflüssiges. Wundervoll klares Lichtdesign (Holger Hofmann)

Die größte Überraschung bietet der Bariton Juha Koskela. Ein stimmgewaltiger Verdisänger per excellence – und beeindruckender Mime. Er bedarf der Kleinwüchsigkeit und des Buckels nicht, um sich als Narr zu etablieren. Er setzt seine hochgewachsene Körperlichkeit ein, wirkt tapsig wie ein Tanzbär. Seine Augen schleudern Blitze. Seine Beine schlenkern. Verdi gibt mit der Musik die Bewegung vor – das Stolpern, Stocken, Humpeln. Das Orchester unter Leitung von Michael korth spürte den feinsten Gefühlsregungen dieser Musik wundervoll filigran nach; die Gewitter-Szenerie ist ein Meisterstück. Die Chöre sind von Jan Rozehnal glänzend studiert.
Ganz in unschuldigem Weiß Runette Botha. Eine lyrische Koloratursopranistin voller Dramatik und Höhenglanz. Sie vermag nicht nur ihre Liebe zum Herzog zu zeigen –

Sie ist auch als kleines Mädchen in Weiß und als zerstörte Puppe ständig im Bühnengeschehen präsent. Puppe kaputt. Tochter kaputt. Ein kluger Kunstgriff der Regie. Und der Vater kaputt.

Gilda bittet noch ergreifend um Vergebung „V’ho ingannato, colpevole fui“, dann erkennt Rigoletto „Ah, la maledizione“. Der Fluch des Grafen Monterone (Klaus-Uwe Rein) hat sich nicht am Herzog sondern an ihm erfüllt.
Dritter in diesem Kammerspiel ist der Herzog (Max An), ganz in Gold gewandet. Ein Frauenverführer und doch in der Beziehung zu Rigolettos Tochter zugleich auch ein wahrhaft Liebender. Aber er ist ein schwacher, schnell entflammter und oberflächlicher Charakter. Er darf leben. Gilda muss sterben. Seine Leichtfertigkeit und Leichtlebigkeit wird in seinen Arien federleicht widerspiegelt. Alle Beteiligten sorgen mit „Rigoletto“ für eine Sternstunde des Belcanto.

Die Inszenierung dieser grandiosen Tragödie dürfte weit über den Harz hinaus Freunde und Bewunderer finden.