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Zur Inszenierung: Die Hochzeit des Figaro am Nordharzer Städtebundtheater

Eifersuchtsarie in Lava-Rot

Uwe Kraus, in: Mitteldeutsche Zeitung

Regisseurin Susanne Knapp führt Mozarts „Le nozze di Figaro“ in Halberstadt wieder auf eine singspielartige Fassung zurück und greift dabei zu einer alten Übertragung von Hermann Levi. Trotzdem wirkt die Aufführung keineswegs museal und verstaubt, sondern dynamisch, farbenfroh, bild- und klangreich. Auch wenn diese Fassung ohne Rezitative durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Sie bürdet der Musik und den Sängern die Last auf, die verzwickte Geschichte auch ohne die zumeist Cembalo-begleiteten Zwischenstücke zu forcieren. Was natürlich den Vorteil fürs Publikum hat, dass Mozarts Opera buffa in rund zweieinhalb Stunden über die hiesige Bühne geht, doch durchaus größere Aufmerksamkeit fordert, um die jähen Wendungen nachvollziehen zu können.

Der stürmische Applaus und die Begeisterung des Halberstädter Publikums beweisen, das Konzept von Susanne Knapp, von Halberstadts früherer Ausstattungsleitein Alrune Sera und Martin Hannus am Pult ging voll auf. Dass dies so war, verdankt das Inszenierungsteam einem wunderbaren Sängerensemble. Der Zuschauer steigt sofort in das angekippte Halbrund der Bühne mit den magischen sieben Tapetentüren ein, denen durch Öffnen, Schließen, Anlehnen und als Versteckmöglichkeit eine wichtige Rolle zukommt.

Kardinalfarbe des Abends ist das tiefe Liebe symbolisierende Rot. Doch deren Reinheit wird immer wieder ver- und abgedeckt. Allein Cherubino steht zu diesem uneingeschränkten, absoluten Lieben. Alle Anderen legen bereits in der Ouvertüre andere Farben und Kleidungsstücke drüber. Liebe, Wechselbäder der Emotionen, Eifersucht, wahre und gespielte Untreue, Begierde und Resignation, all das mischt sich bei Mozart und Knapp. Es quillt wie ein Lavastrom der Gefühle durch ein Loch aus der Tiefe des Bühnenbodens auf die Spielfläche.

Die Entdeckung des Abends dürfte die neu engagierte Regina Plätzer sein. Ihren Cherubino singt sie anrührend ohne jegliche Debüt-Nervosität klar und rein bis in die Seele. Ihr üppiger Mezzo wirkt vital, ihr Spiel strahlt ungebremstes Liebessehnen aus. Als Susanna ist die erfahrene Bettina Pierags wunderbar besetzt. Spielfreudig-keck und durchaus auch handgreiflich agierend, klang ihr Sopran selbst in den Höhen unangestrengt, durchaus mit einer Spur Erotik behaftet. Ihre Rosen-Arie wirkte kräftig- frisch und sicher geführt. Gijs Nijkamps verströmt in der Titelpartie als Figaro satten Klang und Ausgeglichenheit in allen Lagen. Durchaus charmant, wirkt er zuweilen auch zupackend, wenn ihn die Eifersucht übermannt. Sein Gegenpart, der weibstolle Graf Almaviva, darf in der Inszenierung recht differenziert das Spektrum vom Macho über den eifersüchtigen Ehemann bis zur gefühlvollen Sehnen und Zweifeln bedienen.

Das kommt dem stimmlich souveränen Juha Koskela, der darstellerisch gewonnen hat, mit seinem unterschiedlich gefärbten Bariton sehr entgegen. Seine ewig hintergangene Gattin Kerstin Pettersson wirkt authentisch. Die Rolle der Gräfin Almaviva hat etwas Aristokratisches, sie scheint sich an ihre Rolle gewöhnt zu haben und wird erst wach und aktiv, als sie sich beim Anblick des jungen Paares an ihre verschüttete Liebe erinnert. Das Vertrauen, das ihr mit der Rolle der Barbarina entgegengebracht wurde, rechtfertigt die junge Marlene Behrmann spätestens mit der professionell dargebotenen f-Moll-Arie. In kleineren Rollen sind durchaus passable Leistungen in Stimme und Spiel von Gerlind Schröder, Klaus Uwe Rein, Norbert Zilz und Tobias Amadeus Schöner zu erleben.

Martin Hannus sucht die verspielte Leichtigkeit bei Mozart, differenziert die Tempi recht stark. Er arbeitet mit seinem Orchester, dessen Klang zuweilen fast kammermusikalisch daher kommt. Dabei stimmte die Balance zwischen Bühne und Orchestergraben, und Instrumentengruppe hatten die Chance, sich durch Wohlklang hervorzuheben.

Die Musik entlarvt Eitelkeiten

Von Liane Bornholdt, in: Magdeburger Volksstimme, 15.02.2010

1786 wurde Mozarts „Le nozze di Figaro“ uraufgeführt. Bald schon gab es erste deutschsprachige Fassungen. Am bekanntesten wurden die Da Ponte-Übersetzungen von Hermann Levi aus dem 19. Jahrhundert, die aber seit 1933 in Deutschland nicht mehr gespielt wurden. Das Nordharzer Städtebundtheater hat in seiner Inszenierung „Die Hochzeit des Figaro“ die Hermann-Levi-Übersetzung aufgegriffen. Premiere war am Sonnabend in Halberstadt.

Auch in der Fassung ohne Rezitative greift die Inszenierung in der Regie von Susanne Knapp und unter der musikalischen Leitung von Martin Hannus auf Aufführungspraktiken des 19. Jahrhunderts zurück. Es ist ein wirklich, an dem Susannas und Figaros Hochzeits-Vorbereitungen alle Gefühle ans Tageslicht bringen und zu einem wahrhaft verwirrenden Knoten aus Begehren und Eifersucht, aus Ver- und Unterstellungen, Trauer und Versöhnungen, vor allem aber aus tiefstem Verzeihen und wahrhaftiger Liebe verschnüren. Für die Inszenierung am Nordharzer Städtebundtheater haben Regisseurin Susanne Knapp und Ausstatterin Alrune Sera ein Bühnenhalbrund geschaffen, das mit einer Vielzahl von Tapetentüren ideale Möglichkeiten fürs heimliche und offensichtliche Verschwinden und Erscheinen der Sängerspieler gibt.

Die Darsteller sind fast ausschließlich auf ihre Spiel- und sängerische Ausdruckskunst angewiesen, um die verwirrenden Geschehnisse und emotionalen Wechselbäder zu zeigen. Aber die Zuschauer haben natürlich Mozarts geniale Musik, und diese führt sicher durch alle, auch die geheimsten Verästelungen die Musik entlarvt die Eitelkeiten. Martin Hannus hat sich musikalisch auch mit der Praxis des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Auffällig sind die wechselnden Tempi, sehr schnell etwa die Ouvertüre oder Figaros aufmüpfige Cavatine im 1. Akt („Will der Herr Graf ein Tänzchen wohl wagen“). Dem gegenüber stehen Ruhepunkte und zarte Schwingungen etwa in der Gräfinnenarie oder in Susannas Rosenarie („O säume länger nicht „) und eben im berühmten Liebesduett. Schön auch die ausdrucksvollen Bläser aus dem Orchestergraben.

Dass in dieser Inszenierung auf alle Rezitative verzichtet wurde, was die ganz Oper auf schnelle zweieinhalb Stunden verkürzt, lässt allerdings manches sehr abrupt aufeinanderfolgen. Der Graf von Juha Koskela ist das eigentliche Mannsbild der Geschichte. Er verstand es wunderbar, echte Gefühle zum Ausdruck zu bringen, alles sehr glaubhaft und sängerisch souverän. Mozarts Figuren sind immer ambivalent, menschlich eben. Der Titelheld Figaro etwa, gesungen von Gijs Nijkamp, ist nicht nur der pfiffige Tatmensch, er ist auch eifersüchtig und grob. Susanna, gesungen von Bettina Pierags, hält die Fäden zusammen. Die Sängerin traf sehr schön die Zwischentöne.

Die Gräfin, Kerstin Pettersson, ist die tragische Figur, deren Verzeihung nicht erhört wird, und das drückte sie auch trotz Indisposition sehr glaubhaft aus. Zauberhaft Marlene Behrmann als Barbarina, die in ihrer traurigen f-Moll-Arie auch offenbar den Grafen anhimmelt, obwohl ihr Text Gegenteiliges behauptet. Alle täuschen und verstellen sich, nur Cherubino nicht. Regina Plätzer singt und spielt hinreißend die reine jugendliche Liebessehnsucht die alle anrührt. Die interessantesten Stücke der Oper sind allesamt Ensembleszenen. „Die Hochzeit des Figaro“ ist die Oper, in der alle etwas verheimlichen. Mozart löst die Verwirrungen musikalisch in den wunderbaren Finali. Wenn diese gelingen, wie es in Halberstadt hervorragend zu erleben war, muss auch die gesamte Inszenierung gelingen.