Presse

Zur Inszenierung: Die Prinzessin auf der Erbse im Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln

Frisch und knackig

Das Mittelsächsische Theater lässt die Prinzessin auf der Erbse singen

Von Martin Morgenstern, Samstag, 12. November 2011, Sächsische Zeitung

Zack, Tür auf, herein kommt so ein junges Ding und behauptet, Prinzessin zu sein. Misstrauisch stellen König und Königin sie auf die Erbsen-Probe, bevor sie ihren Sohn mit der Unbekannten verheiraten. Diese Story war den Dreikäsehochs in der Freiberger Premierenvorstellung hoffentlich präsent. Denn als viele Leute die Bühne bevölkerten und unverständlich und teilweise gleichzeitig hochdramatische Arien sangen, verlor man leicht den Handlungsfaden. Da half der sympathische Erzähler (Christian Weber) kaum, der das Gewusel immer mal anhielt und den Stand der Dinge rekapitulierte.

Mit Ernst Tochs Kurzoper „Die Prinzessin auf der Erbse“ hat das Mittelsächsische Theater eine kindgerechte, aber nirgends platte Inszenierung im Programm. Erwachsene erfreuten sich eher an der anspielungsreichen Ausstattung, die das Königreich auf einen kleinen drehbaren Wohnkasten komprimiert, inklusive Prinzessinnen-Casting im TV und einem Kühlschrank voller Dosenerbsen.

Und die Besucher im Grundschulalter fanden die total überdrehten und sanft aktualisierten Rollen – die Amme ist hier eine Putzfrau – hörbar zum Quieken, lachten sich über die blaublütigen Eltern kaputt und fieberten mit dem keuschen Liebespaar. Dass für sie die Texte, die mit Vibrato höchst parodistisch verbrämt wurden, unverstanden blieben, war schnurz, geht es doch den meisten Eltern in der „Traviata“ genauso. Unter Ido Aras musizierte das Orchester die von Toch genial zugespitzte Musik knackig frisch und auf den Punkt.

Große Kunst für kleine Gäste

Das Ensemble des Mittelsächsischen Theaters hat es mit der Premiere von „Prinzessin auf der Erbse“ geschafft, über 200 Kinder trotz Operngesang bei Laune zu halten.

Von Thomas Reibetanz, Freie Presse, 12.November 2011

FREIBERG – Das könnte man als Meisterstück eines Regisseurs bezeichnen: Wenn über 200 Knirpse am späten Vormittag eine dreiviertel Stunde lang relativ ruhig auf ihren Theaterstühlen, die zudem auch noch mittels Klappmechanismus als brillantes Spielzeug taugen, sitzen bleiben, obwohl auf der Bühne klassische Arien geschmettert werden, ist das große Kunst. Dem Ensemble des Mittelsächsischen Theaters ist das bei der Premiere der Musikoper „Prinzessin auf der Erbse“ gelungen.

Regisseurin Susanne Knapp schafft dabei die Verbindung und gleichzeitig den Spagat zwischen Unterhaltung und Kultur. Beides sind für Theaterbesucher, die noch zu klein sind, um über den Bühnenrand gucken zu können, zwei völlig verschiedene Welten. Unterhaltung ist, wenn der alte Märchenerzähler mit seinem Rollator gegen die Wand fährt oder mit seinem Plüschtier redet. Christian Weber spielt diese Rolle so köstlich, dass auch die erwachsenen Zuschauer in das laute Gelächter einstimmen.

Kultur ist für Kinder hingegen das, was die Großen immer meinen, wenn sie sich langweilige Sachen angucken. Konzerte mit Holzinstrumenten und so. Oder wenn Leute Sachen singen, die sich so komisch anhören. So etwas wie Opern und so. Das will kein Kind wirklich hören. Es sei denn, es dauert nicht allzu lang, ein Erzähler sagt vorher, was die da oben auf der Bühne meinen, und der Gesang kommt aus einem bunten Puppenhaus.

Wie ein solches wirkt das Bühnenbild, das die Schwester der Regisseurin entworfen hat. Die hat sich übrigens den Künstlernamen Jakob Knapp gegeben. Vielleicht, um der Welt zu suggerieren, dass auch Männer märchenhafte Bilder entwerfen können.

Bei den Figuren verzichtet Ausstatterin Jakob auf Experimente. Der König sieht aus, wie ein König aussehen muss, den Prinz erkennt man an der Krone und die Erbse sogar in der letzten Reihe. Die Hauptfigur des Stückes ist nämlich richtig groß geraten und leuchtet im Dunkeln. Und schon darf man das „Chapeau“ der nächsten Generation vernehmen: „Boar ey“, ruft das Publikum.

Für Unterhaltung wäre also genügend gesorgt, bleibt die Frage, wie man die Kultur in für Knirpse verträgliche Häppchen verpackt. Ernst Toch, Komponist des Musikmärchens nach der Vorlage von Hans Christian Andersen, schafft das, indem er die leisen Töne anschlägt. Das Orchester untermalt die Lieder nur, setzt Akzente, dort, wo sie hingehören.

Die Solisten (allen voran Miriam Sabba als Prinzessin) dürfen dagegen ab und zu die Grenzbereiche ihrer Stimmen ankratzen. Schließlich sind wir nicht auf einem Kindergeburtstag sondern in einer Oper. Und was eine solche ist, wissen die kleinen Gäste nach dem Besuch auf jeden Fall. Sie werden daheim begeistert erzählen, dass sie Kultur gesehen und dabei kaum gequatscht haben. Und Unterhaltung hatten sie auch. Ganz tolle.

 

Freiberg: „DIE PRINZESSIN AUF DER ERBSE“

08.12.2011 / Joachim Weise, in: Der Neue Merker, 01 / 2012

Außer dem Kinderstück „Pinocchio“ legte das Mittelsächsische Theater seinen jüngeren Besuchern Ernst Tochs nach Hans Christi an Andersen komponiertes Musikmärchen auf den vorweihnachtlichen Gabenteller. Ob es damit den Erwartungen der Adressanten an einen solchen Theaterbesuch umfassend gerecht ward, sei allerdings angezweifelt. Denn obgleich sich der auf dem Grenzgebiet zwischen Tonalität und Atonalität wandelnde gebürtige Wiener eines hinlänglich vertrauten Stoffes bediente, bedarf die gesamte Anlage der Komposition immerhin des geübten Hörers. Nicht umsonst gelangte diese „Erbse“ erstmals 1927 in Baden-Baden, zu jener Zeit Hochburg der musikalischen Avantgarde, zur Verkostung. Hindemith („Hin und zurück“) und Brecht/Weill („Kleines Mahagonny“) stellten in diesem Rahmen weitere Uraufführungen zur Diskussion. Mithin darf man annehmen, dass Tochs zweites Bühnenopus nicht unbedingt für den Besucherkreis eines Weihnachtsmärchens vorgesehen war. Diesen Verdacht erhärtet zudem das ironisch glitzernde Libretto des Bildhauers Benno Elkan, der gleich Toch von den Nazis in die Emigration getrieben wurde. Der anspielungsreiche Text, in Freiberg nicht immer deutlich vernehmbar, dürfte sich ebenso wie die häufig Groteskes aufgreifende Musik kaum auf Anhieb kindlichen Gemütern erschließen.

Um dem einigermaßen abzuhelfen, führte man in Freiberg (und Döbeln) die Figur eines Erzählers ein, den der Schauspieler CHRISTIAN WEBER mit teilweise deftigem, aber nie billigem Humor übernahm. Die Inszenierung wurde SUSANNE KNAPP anvertraut, deren Schwester JAKOB KNAPP ein phantasievoll praktikables Bühnenbild beisteuerte und die nun wahrlich der Märchenwelt entlehnten Kostüme entwarf. Dabei geht es mitunter recht burschikos zur Sache. Man redet vom Pupsen, und die hier in eine Putzfrau umgewandelte Amme säubert eifrig das königliche Klo und den Allerwertesten des Königs. All dieser Verrichtungen entledigte sich ZSUZSANNA KAKUK jedoch mit launigem, jedwede Peinlichkeit vermeidenden Spaß an der Sache. Derbe, aber stets in Grenzen gehaltene Komik kennzeichnet den Hofstaat. JUHAPEKKA SAINlO präsentierte sich als stark tremolierender König, der unter dem Pantoffel seiner zickigen Ehegesponsin, von der gewaltig auftrumpfende Spitzentöne einbringenden RITA ZAWORKA charakterisiert, kaum etwas zu lachen hat. Kanzler (HANs-HEINRICH EHRLER) und Minister (der dem Chor entliehene Tenor JAROMIR SEDLMAJER) waren ebenso darauf bedacht, bei den Kindern keine Langeweile aufkommen zu lassen. Somit keimte nur gelegentlich rasch verebbende Unruhe auf. Dem von seinen Erzeugern schurigelten Prinzen gewann JENS WINKELMANN glaubhafte Züge ab. In den Höhenlagen der Hauptrolle glänzte MIRIAM SABBA, deren Textverständlichkeit freilich manchen Wunsch offen ließ.

So ward denn von der Bühne herab gar manches getan, um die Zuschauer für ein Werk ein zunehmen, das, von Mitgliedern der MITTELSÄCHSISCHEN PHILHARMONIE unter IDO ARAD voller Gespür für Tochs eigenwillige Tonsprache interpretiert, den geladenen Gästen gewiss diese oder jene Nuss zu knacken gab.