Zur Inszenierung: Die Welt auf dem Mond am Nordharzer Städtebundtheater
Volksstimme von Renate Petrahn
(…) der Mond als Sehnsuchtsort der Menschen in einer ebenso gelangweilten wie chaotischen, von Handys, Tabletts und Selfies beherrschten Welt. Diese Idee wurde durch die Regie (Susanne Knapp) und Bühnenbild (Jakob Knapp) konsequent umgesetzt. Der Lebensstil des Prekariats wurde mit der Genauigkeit einer Kamera widergespiegelt (Handys, Chips und Bier). Herrlich die von Jakob Knapp geschmacklos-trashig entworfenen Kostüme. (…)
Einmal zum Mond und zurück
Harztheater macht aus Haydns „Die Welt auf dem Monde“ ein musikalisches Reisevergnügen
Volksstimme vom 24.09.2018 von Joachim Lange
(…) die flott verjüngte, selten gespielte Haydn-Oper, deren Musik gelegentlich auf Mozarts „Zauberflöte“ vorausweist, hat alle Chancen, in einem voll besetzten Haus beim Publikum zu zünden. Regisseurin Susanne Knapp und Maxim Hofmann haben mit ihrer Neubearbeitung „Die Welt auf dem Monde“ (gesungen wird auf Deutsch) nämlich auf ziemlich irdische Wiedererkennungseffekte gesetzt.(…)
Die Mitglieder der Familie Bonafede und die, die es werden wollen, langweilen sich schon in Carlo Goldonis Vorlage , zu der Joseph Haydn 1777 seine siebente italienische Oper komponierte. Und kommen auf dumme oder zumindest recht abwegige (Reise) – Gedanken. Sie erfinden sich eine paradiesische Mondgesellschaft und einen Familienausflug dorthin.
Ausstatterin Jakob Knapp hat sie allesamt in einem anheimelnden Kantinenraum versammelt. Mit allem, was dort gewöhnlich so rumsteht. Inklusive Kühlschrank und drei ausrangierten Klappsesseln. Dort haben sie alle ihre Smartphones vor der Nase, spielen, hören Musik, chatten oder machen Selfies damit.
Die vier fabelhaft sich einfach selbst spielenden Jungs von Clarice (Runette Botha) und Ecclitico (Max An) sind schon im Schlafanzug. Aber nur die für die Küche und das Alltagsmanagement dieser schrecklich netten Familie zuständige, resolute Lisetta (Gerlind Schröder) versucht, sie ins Bett zu schicken. Auf die reife Haushälterin hat der auch zum Personal gehörende, aber vor allem mit Kapitalismuskritik beschäftigte Cecco (Tobias Schöner) ein Auge geworfen (und sie auf ihn). Die jüngere Tochter des Hauses Flaminia (Bénédicte Hilbert) und ihr Freund Ernesto (Counter Denis Lakey) arbeiten noch daran, vom gutgläubigen Familienpatriarchen (Klaus-Uwe Rein) als Paar akzeptiert zu werden.
Zu diesem Tableau aus schön hässlich kostümierten Komödienpersonal kommt Maxim Hofmann hinzu, der von sich selbst sagt, dass er sozusagen der Subtext zum Stück sei. Eine Drohung, die er dann immer wieder sozusagen als Stichwortgeber für treffsichere Pointen zum allseitigen Vergnügen wahrmacht. Er schlägt als Bühnenmusiker (auch schon mal mit einer „Moon-River“-Einlage), mit Nebenjob als Spielführer und Astronaut, immer wieder eine Brücke zum Publikum von heute.
Eccliticos Mondfixierung, die Sehnsucht aller, aus dem Alltagstrott auszubrechen und bei der Gelegenheit offene Beziehungsfragen zu lösen, läßt sie allesamt zur Reise auf den Mond aufbrechen. Anders als bei der Reise nach Jerusalem, die sie auf dem Weg dorthin mit ziemlichem Tumult spielen, bleibt dabei niemand zurück. Der notorische Kapitalismuskritiker Cecco gibt den Mondimperator, seine Lisetta lässt sich als Kaiserin auf den Gaudi ein (und nebenan in ihrer Küche die Eier anbrennen). Der alte Herr wird mit Hypnose und der Überzeugungskraft aller anderen „überzeugt“, zu allen Beziehungswünschen Ja und Amen zu sagen.
Im Graben sorgt Johannes Rieger (kostümiert als wäre er Papa Haydn selbst) am Pult des fidel aufspielenden Orchesters des Nordharzer Städtebundtheaters für den musikalischen Reiseproviant. Und auf der Bühne geben sie allesamt vokal ihr Bestes und erweisen sich obendrein als eine komödienfeste Reisegesellschaft.
Haydn am Handy
Neufassung: Was Haydnliebhaber aktuell deutschlandweit nur am Nordharzer Städtebundtheater erleben dürfen
Mitteldeutsche Zeitung vom 19.10.2018 von Uwe Kraus
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Schon zu Haydns Zeiten galt sein Werk als unterhaltsame Melange aus Satire, Singspiel und Fantasy. Das Duo Knapp und Hofmann treibt das in der Jetzt-Zeit auf die Spitze.
Wer sich darauf einläßt und nicht darüber sinniert, ob der Komponist in seinem Eisenstädter Haydn-Mausoleum deswegen rotiert, der erlebt unterhaltsame 150 Minuten mit einem äußerst spielfreudigen Halberstädter Sängerensemble.
Es ist ein mutiger Schritt, die unbekannte, in Halberstadt noch nie gespielte Haydn-Oper mit soviel Zeitgeist des 21. Jahrhunderts zu paaren, dass eine höchst aktuelle komödiantische wie gesellschaftskritische Sichtweise entsteht. Das Theater leistet sich dieses Experiment, und das ist gut so!
Kapitalismus-Kritik auf dem Shirt von Cecco, mit dem Tobias Amadeus Schöner vom Diener zum Mondimperator mutiert, und „Vegan“-Reklame bei Ernesto, einem Kavalier, den Denis Lakey singt, dazu kommt die Smartphone-Orientiertheit quer durch die Generationen.
Die Wohlstandsverwahrlosung offenbart sich in allen Ecken. Die Schwester der Regisseurin Susanne Knapp, Jakob Knapp, hat diese in der Alten Kantine des Halberstädter Theaters mit der berüchtigten Mischung von Stühlen und der kollabierenden Kaffeemaschine nachempfunden. Hier lungert alles in einem „Lebenswarteraum“: Kaffee-to-go, IKEA-Lampe, Langeweile und dazu Chips gleich kiloweise.
Auf die Frage „Hat jemand eine Idee“ kommt ein „Nee“. Und wie wünschte sich der Eine oder die Andere doch mal wieder eine „analoge Umarmung“. Dass da Bonafede, der rentner-beige-gekleidete Klaus-Uwe Rein, von Max An als Ecclitico mit einer Superdroge auf den Mond gebeamt wird und da auf alle Erdakteure trifft, weil alles nur Spiel ist, bleibt an Haydn und Goldoni dran. Doch hört man den Beteiligten in ihren Dialogen zu, dann klingt es wie von einer sehr aktuellen Position.
In die Bearbeitung hat das Neubearbeitungs-Duo Maxim Hofmann als Bühnenmusiker und Kosmonaut hineingeschrieben. Er verbindet als Entertainer Zuschauer- und Bühnenraum, aber auch die Scheinwelten zwischen Erde und ihrem Trabanten.
An seinem E-Piano begleitet er die Solisten. Ein Erlebnis, wie das berühmte „Moon River“ von Henry Mancini in wunderschöner Differenzierung an verschiedenen Stellen der Oper erklingt, von Gerlind Schröder, der Kammerzofe des Bonafede, im Duett der aufgekratzten Schwestern Flaminia und Clarice sowie anrührend auf Deutsch nach der Rückkehr zur Erde von Klaus-Uwe Rein. Virtuelle und reale Welten hin oder her: trashig, billig, bunt und durchgeknallt, mit schrägen Klamotten – das klassische Opernpublikum reibt sich die Augen, äußerte bei der Premiere auch Mißfallen. Doch was das Ensemble da bietet ist bester Haydn. Die in der Grundfarbe Pink gewandete Runette Botha ist darstellerisch außer Rand und Band – und singt mit warmem Sopran wie ihre liebreizende Bühnenschwester Bénédicte Hilbert glänzende Koloraturen, hörenswert die Kavatine Bonafedes oder sein Duett mit Lisetta. Großes Lob zudem für das „familiäre Humankapital“, den Knabenchor, der auch als Kammer-Quartett zu erleben war. (…) Den Intendanten zaubern Susanne Knapp und Maxim Hofmann noch aus dem Orchestergraben – als zeitgerecht gestylten Joseph Haydn.