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Zur Inszenierung: Il Barbiere di Siviglia am Theater Vorpommern

Den „Barbier von Sevilla“ rasant inszeniert

Das Publikum war am Sonnabend von der Aufführung der Oper in der Inszenierung von Susanne Knapp hellauf begeistert

Ostseezeitung, 09.03.2015 von Juliane Voigt

Greifswald

Ein rasanter „Il Barbiere di Siviglia“ rauschte am Samstagabend über die Greifswalder Bühne. Das entsprach in etwa dem Temperament Rossinis. Zwei Wochen hat er daran geschrieben. Es gab nichts, was Rossini mal eben gemächlich anging. Und so ist der „Barbier“ die wohl schnellste Oper der Welt. Eine Oper für Hyperaktive. Vor dem ersten Akt atmete das Publikum ein, nach dem zweiten wieder aus. Übermütiges Personal in einer sich überschlagenden Handlung mit Wendungen, denen man kaum folgen kann, zu einer Musik, die wie aufgezogen durch die Handlung fegt. Mein Gott, die singen ja auch noch, fällt einem da zwischendurch auf.

So ist es jedenfalls in dieser sehr gelungenen Inszenierung von Susanne Knapp. In der Bühne und den Kostümen von Jacob Knapp. Die dynamischen Schwestern sind zum zweiten Mal Gäste des Theaters Vorpommern. Schon der Zarewitsch im Jahre 2012 wies diese symbiotische Matrix auf. Ein Gesamtkunstwerk ist es auch jetzt wieder.

Auf Italienisch mit, naja: Fantasie-Untertiteln. Die Bühne ist ein aufgeklapptes altes Buch mit Schnörkeln und Patina. „Die nutzlose Vorsicht“. Rosinas Lektüre, die sie gelangweilt konsumiert, eingesperrt von ihrem Vormund. Ihr Zimmer ist raffiniert wie ein Guckkasten in das Buch versenkt und verschwindet hinter einer Vorhang-Illustration. Anna Wagner als Rosina sitzt da dekorativ und nutzlos in kreischendem Rüschen-Rosa. An ihr wird sich ja exemplarisch beweisen, dass Vorsicht nutzlos ist. Alexandru Constantinescu ist ein sehr komödiantischer Bartolo-Tattergreis. Thomas Rettensteiner, der hyperaktive Figaro mit lila Haarpracht präsentierte seine Zungenverknotungsarie „Largo al Factotum“ als ein federndes Trällern. Anette Gerhardt schön verträumt als Marcellina.
Auf dieser Bühne stimmte alles. Nur dass jeder noch so geniale Plan Figaros nicht aufgeht. Aber egal, sie kriegen sich natürlich trotzdem: der Graf Almaviva, ein fantastischer Oscar de la Torre und Rosina, Anna Wagner, gepaarte Virtuosität und Leichtigkeit.
Das Publikum saß auf einem sich immer schneller drehenden Karussell. Irgendwann fragte sich keiner mehr, wieso die singende Kapelle mal hier, mal da stand oder herumzog. Das war eben so. Die Herren des Opernchores, jeder bewaffnet mit einem Instrument, an denen sie sich austobten, obgleich die Musik unter der Leitung von Golo Berg fidel aus dem Orchestergraben sprudelte. Wenn der Vorhang nicht gefallen wäre, würden die Leute wohl noch immer Beifall klatschen.

 

Italienische Begeisterung am Sund

Die Premiere des „Barbiers von Sevilla“ wurde zu einem mitreißenden Opernabend auf höchstem Niveau

Ostseezeitung, 23.03.2015 von Juliane Voigt

Stralsund

Der „Barbier von Sevilla“ hatte am Samstagabend in Stralsund Premiere. Auf italienisch heißt die Oper von Gioachino Rossini „Il Barbiere di Siviglia“, denn die Regisseurin Susanne Knapp hat die Oper, die in Sevilla – also Spanien – spielt, im Original – also italienisch – inszeniert. Es ist eine sehr fröhliche, komische Oper. Und in Stralsund begann sie schon, bevor alle überhaupt saßen. Musiker liefen mit ihren Instrumenten durch die Foyers, tuteten und spielten ein bisschen auf Posaune, Kontrabass, Triangel oder Drehorgel. Einer lief als aufdringlicher Rosenverkäufer herum und überschüttete überraschte Opfer im Publikum mit einem italienischen Redeschwall. Bei genauem
Hinsehen konnte man hinter den Sonnenbrillen die Männer des Theaterchors erkennen. Was wird
hier gespielt?

Graf Almaviva ist mit südländischem Temperament hinter einer Schönheit namens Rosina her und
heuert eine kleine Kapelle an, die seinen Gesang unter ihrem Fenster begleiten soll. Trotz seiner Misserfolge honoriert er die inzwischen singende Kapelle, denn es ist wirklich
der Opernchor, gräflich. Es regnet – wie es das Musiktheater gar nicht gewöhnt ist – Geldscheine. Der Graf schafft es erst mit der List des Friseurs und Barbiers Figaro, sich in allen möglichen Verkleidungen Zugang zu dem Haus zu verschaffen, in dem Rosina von ihrem
Vormund eingesperrt wird. Der will sie heiraten, weil er nicht auf das Geld der gerade Volljährigen verzichten will. Der Graf muss jetzt nur schneller sein.

Regisseurin und Ausstatterin Susanne und Jacob Knapp sind Gäste am Haus, die Schwestern haben aber gemeinsam schon den „Zarewitsch“ vor einigen Jahren inszeniert.

Das Bühnenbild ist ein altes Buch – „Die Geschichte von der nutzlosen Vorsicht“. Die bittere Pille Wahrheit muss der Vormund Doktor Bartolo, so alt er auch ist, am Ende schlucken. Alexandru Constantinescu singt und spielt den Doktor derartig senil und klapprig, dass man mit Rosina wirklich mitbebt. Bloß nicht dieser Greis! Rosina, gespielt und gesungen von der wunderbaren Anna Wagner, bezaubernd in ihren rosa Rüschen, mit der rosa Turmfrisur, wie ein barockes Barbiepüppchen, scheinbar mühelos in den Höhen des Soprans, die sich nach Ablegen der Robe in eine moderne junge Frau verwandelt. Sie weiß noch nicht, dass der Student, den sie zu ehelichen wünscht, eigentlich der Graf ist. Oscar de la Torre, ein mexikanischer Belcanto-Tenor, der für die Rolle als Gast am Haus ist, brillierte stimmlich und agierte als Gegenpart zu dem Vormund erfolgsgewiss. Anette Gerhardt als Marcellina komisch und rührend. Thomas Rettensteiner als Figaro trotz angeschlagender Stimme sehr präsent und gewichtiger Orientierungspunkt.

Von der konfusen Handlung bekommt man aber genug mit. Denn die Bühne ist ein aufgeklapptes Buch, sehr barocke Schnörkel-Prospekte, die alte Geschichte von der nutzlosen Vorsicht.

Und das Libretto ist auf das Wesentliche reduziert als Projektion dort nachzulesen. Nur Hieroglyphen, als Figaro beschreibt, wo sein Friseurladen ist. Oder eine Warnung vor Bluthochdruck, wenn der Alte immer schneller singt. Die Bühne, die Kostüme, die Frisuren, an denen man die ausgeflippte Frisierkunst Figaros ablesen soll – alles ist derartig farbenfroh und lebendig, dass die 2 Stunden und 40 Minuten mit Pause im Fluge vorbei waren.

Und zu alledem ist auch die Musik von Rossini herrlich aufregend, zumal die Musik auf der Bühne zwar Playback aus dem Orchestergraben kam, die Regisseurin sich aber herausnahm, die Musiker zu platzieren, wie auch immer es ihr passte. Immerhin war es ja der Chor. Unvermutet saßen sie wie Standbilder im Guckkasten, in dem Rosina wie ein Püppchen im Schaufenster präsentiert worden war. Nur, dass es eben das Orchester unter Leitung von Golo Berg war, mit zauberischem Schwung und hellem Timbre.

Insgesamt ein mitreißender Opernabend, musikalisch auf höchstem Niveau, den die Stralsunder mit italienischer Begeisterung feierten, mit Bravos und Standing Ovations.