Inszenierung

Die Gärtnerin aus Liebe

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Oper von W.A. Mozart
Musikalische Leitung: Till Hass
Inszenierung: Susanne Knapp
Ausstattung: Jakob Knapp

Landestheater Eisenach 2006

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Interview zur Inszenierung

Stefan Bausch: Um was geht es den Menschen in dieser Oper?
Knapp: Es geht hier um Träume. Es geht um den großen Traum vom Glück, genauso wie um den Alptraum der Schuld. Es geht um den Menschheitstraum vom Fliegen und den Traum von der Unschuld – dem Zustand vor der Erkenntnis, ein Mensch zu sein. In jeden Bereich unseres Lebens nehmen wir Träume mit. Träume leiten uns, verfolgen uns, führen uns durch das ganze Leben. Es geht natürlich auch um die Liebe, die Kraft der Liebe, das Verhängnis der Liebe. Und darum, dass die Liebe ganz nah der Angst ist. Auch das hat etwas mit unseren Träumen zu tun. Es geht darum, zu zeigen, was die Liebe mit uns macht, was wir mit der Liebe machen und wozu wir in der Lage sind, wenn wir an die Liebe glauben.

Bausch: Stellt Mozart für einen heutig denkenden Menschen die Welt zu schön dar, schöner als die Wirklichkeit ist?
Knapp: Nein. Mozart war klug genug, neben den Grausamkeiten dieser Welt auch die Schönheit zu berücksichtigen. Wir können diesbezüglich von ihm lernen. Vielleicht haben wir heute eine bestimmte Vorstellung davon, wie Grausamkeit aus¬zusehen oder zu klingen hat. Das bedeutet aber nicht, dass Mozart die Welt zu schön darstellt. Das zeigt vielmehr, welche „Menge Grausamkeit“ wir heute brauchen, um von Grausamkeit zu sprechen.

Bausch: Wie sieht das in Ihrer Inszenierungsidee aus?
Ich möchte in der Inszenierung die Extreme ausloten. Das Extrem des Himmlischen und Abgründigen erfassen und darstellen mit Mitteln, die dem Theater eigen sind. Das Unsichtbare sichtbar machen. Dabei mischen sich Schatten und Puppen, skurrile Begebenheiten und Irritationen in Raum und Zeit unter die Menschen und bereichern deren Welt der Wirklichkeit mit dem, was wir jeden Moment erleben, aber der so genannten Realität unterordnen. So entsteht, so hoffe ich, ein lebendiges Theater, das eine Sprache sucht, dem menschlichen Streben und Scheitern ein Stückchen näher zu kommen.

Bausch: Wo findet die Handlung statt?
Knapp: In der Oper gibt es drei Orte: den Garten auf dem Landgut des Podestà, einen Saal im Palast desselben und einen nächtlichen Wald. Damit sind drei archetypische Orte gegeben, die das menschliche Leben umschreiben.

Susanne Knapp: Der Garten ist ein Paradiesgarten, ein Ort der Unschuld – deswegen setzen wir Zeichen aus dem Garten Gottes: ein Apfelbaum, ein Brunnen, eine Katze, Kinder – die Schöpfung am Beginn der Zeit. Dieser Ort ist auch „Wünscheraum“ – ein Raum, der Phantasie und unsere Träume beherbergt. Für mich ein Ort, an dem man hofft, neu anfangen zu können. Unsere große, ursprüngliche Sehnsucht: bei Null beginnen können, das Gefühl von Freiheit, von Zufriedenheit auskosten! Den Zustand erfahren, in dem alles möglich ist. Doch – und das weiß Mozart eben auch – das Zurück zu diesem Ort ist unerreichbar! Ein Zurück in der Zeit gibt es nicht. Die Unschuld ist ein Ur-Ort. Ein Ort, nach dem wir uns ewig sehnen, den wir jedoch nie erreichen, solange wir leben.

Der Saal des Podestà dagegen ist ein realer Raum, ein Raum des Menschen. Es ist sein Ort. Das Haus, das Menschgemachte. Das, was den Menschen kennzeichnet, ist das soziale Miteinander. Kommunikation ist Anfang und Ende von Konflikten, sie findet laut und leise, direkt und subtil, körperlich oder geistig statt. Es ist die Vorhalle eines Hauses, ein Übergangsort zu intimen Zimmern, Fluren, Gängen und Begegnungsstätten. Dieser Raum erzählt von den Menschen, ihren Wegen und Absichten, ihren Mitteln und Versuchen, zueinander zu kommen und ihrer Zeit „dazwischen“ – der Zeit vor einer Begegnung, nach einer Begegnung. Es ist ein geselliger Ort, an dem der Mensch doch sehr oft merkwürdig allein ist.

Der dritte Ort ist der Wald, Sinnbild für die Unterwelt, den Abgrund unserer Seele. Dem Raum der Liebe gegenübergestellt wird der der Angst. Angst und Liebe begreife ich als die Urräume der Menschen überhaupt. Es sind die „Orte“, in denen wir uns ausschließlich emotional aufhalten und aus denen heraus wir handeln. Gefühle wie Wut, Lethargie, Freude, Euphorie, Lust und Unlust sind Abkömmlinge dieser beiden Grundempfindungen. Nicht umsonst wird der nächtliche Wald angenommen als Ort, an dem unsere Figuren an ihre Grenzen geraten. Wir greifen aus diesem Wald die Substanz heraus und zeigen nur die Dunkelheit. Der Urraum Angst ist riesig, schwarz und leer. Kein Versteck. Kein Unterschlupf. Nichts. Nur Finsternis und die eigene winzige Existenz. Die Leiche Violantes kommt von dort allabendlich, um Belfiore zu quälen. Seine Erinnerung ist gefangen in diesem Urraum Finsternis. Dorthin wird auch die echte Violante (alias Sandrina) von der eifersüchtigen Arminda und Serpetta verschleppt.

In diesem Raum der Finsternis begegnen sich unsere Figuren im zweiten Finale. Aus diesem Raum flüchten Belfiore und Violante kraft ihrer Liebe. Sie entkommen, wie auch Ikaros durch die Liebe seines Vaters sein Gefängnis verlassen konnte oder Theseus durch den Ariadnefaden aus dem Labyrinth des Minotaurus ans Licht fand. Ob Ikarosflügel oder Ariadnefaden – sie stehen für die Fähigkeit des Menschen, sich durch Bewusstsein und Liebe aus dem Chaos zu befreien. Violante und Belfiore gehen in ihrer Angst und ihrer Liebe über alle Grenzen. Andere mögen dies Wahnsinn nennen. Doch die das behaupten, bleiben selbst auf Dauer in der Dunkelheit gefangen. Das Reich der Mythen ist das Reich der Archetypen, das Reich, das uns alle aufnimmt und beheimatet. Die Flügel sind nicht nur für Ikaros gedacht, der Rote Faden nicht nur für Theseus. Wir alle dürfen sie benutzen. Wir alle sind Bestandteil dieser mythischen Welt.

Doch was passiert, wenn die Realität durch die Glückseligkeit der Liebe sickert? Wenn Misstrauen, Erinnerung und Eifersucht am Glück nagen? Was, wenn das ganz normale Leben uns die Vorstellung vom Sterben nimmt und der Tod dann plötzlich vor uns steht? Dies alles geschieht im III. Akt. Alle treffen sich im Garten wieder, der allerdings eine ganz andere Gestalt angenommen hat. Die Figuren dieser Geschichte müssen sich dieser Welt stellen. Die Mythen helfen ihnen und uns lediglich auf die Beine. Leben müssen wir selbst.

Fotos: Inka Lotz und Jakob Knapp