Inszenierung

La Bohème

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„Ich wollte,
der Winter würde
ewig dauern.“

Mimi, 3. Akt

Oper von Giacomo Puccini
Musikalische Leitung: Georg Schmöhe
Inszenierung: Susanne Knapp
Bühnenbild/Licht: Arndt Sellentin
Kostümbild: Wiebke Horn

Es spielen die Münchner Symphoniker

13. Opernfestival im Chiemgau, Gut Immling 2009
Premiere: 03. Juli 2009

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Das Leben der Bohème, das ist ein Leben mit viel Lebenshunger. Das ist ein Leben, das hin und her wirft zwischen bitterster Armut, Rausch und Exzessen, Völlerei und Askese, Höhenflügen, Einsamkeit, der unerträglichen Leichtigkeit und Ausweglosigkeit des Seins. Der Wechsel vom einen ins andere Extrem kommt unangekündigt, plötzlich. Die Kunst, dies Leben lachend zu ertragen, liegt in der unerschöpflichen Improvisationskunst und der Freude am Leben an sich.

Im Moment leben zu können, gibt der Fantasie die Möglichkeit, sich zu entfalten. Die Unsicherheiten des Lebens hindern die Bohemiens nicht daran, ausgefüllt und voller Träume zu sein. Nicht Armut ist typisch für die Bohemiens. Arm sind viele. Anders ist jedoch ihr Umgang damit. Sie lamentieren nicht. Die Wahrheit ist doch, dass man nichts festhalten kann. Weder Geld, noch Liebe, noch Leben. Die Bohemiens haben den Mut, das Leben aus sich heraus zu verstehen. Und Leben bedeutet immer Unsicherheit. Zum Glücklichsein braucht es eben Phantasie.

In der Oper werden die Bohemiens von Szene zu Szene geworfen. Übergangslos. Wild. Es gibt keine Zeit, sich an irgendetwas zu gewöhnen. Aufbau und Rhythmik der Oper sind unberechenbar und spontan wie das Bohemienleben selbst. Erster und vierter Akt gleichen einem intimen Kammerspiel, der zweite Akt ist in Festrausch und Trunkenheit, das Gegenteil. Der dritte Akt antwortet diesem Exzess mit größter Einsamkeit. Das Extrem dieser Seiten des Er-Lebens auszuloten, ist Focus von Raum und Inszenierung.

Die entworfene Bühne orientiert sich am schnappschussartigen Prinzip der übergangslosen Szenenwechsel und bietet Spielfläche für die Improvisationskunst der Bohemiens und Raum für die Musik. Szene und Bühne folgen flexibel den Ereignissen, in die die Figuren aufgrund ihrer Offenheit stürzen. Die Bohemiens müssen in der widerspenstigen Realität beweglich sein und Traumwelten erfinden dürfen, aus denen sie ihren unerschütterlichen Mut schöpfen, das Dasein mit Leichtigkeit zu leben.

Das Bühnenbild widerspiegelt diese Leichtigkeit als Lebensraum. Mit wenigen Mitteln wird die Bühne verändert, wechselt die Atmosphäre. Licht und Schatten als Bühnenmittel setzen den Focus, kristallisieren das Wesentliche einer Szene heraus, formen Ort oder emotionalen Zustand, erinnern an Parallelszenarien, schaffen Strukturen.

Die Bohemiens, die in ihrer Art, mit Nichts glücklich zu sein, oft romantisiert werden, leben in dieser, unserer Welt, in welcher Festhalten, Sicherheit und ein bestimmter gesellschaftlicher Status ein lohnenswertes Leben erst ermöglichen. Ziel der Inszenierung ist, hinter die romantische Fassade zu stoßen und Mut, Willen und Fantasie bloß zu legen, die Menschen dazu befähigt, loszulassen und innerlich frei zu sein.

Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan und deshalb ekstatisch, weil der Abgrund so nah ist. Die Nähe des Todes intensiviert das Leben. So furchterregend der Tod auch sein mag, ohne ihn wäre das Leben fade. Nur der Zufall trennt uns vom Tod. Ist der Tod doch das einzige, was wirklich sicher ist. Mimis Tod ist insofern tragisch, weil er von innen heraus, ganz unverschuldet, ohne Gewalt und mitten im Frühling erscheint. So geschickt die Bohemiens im Leben auch sind, so ungeübt und hilflos sind sie im Sterben.

Madame TromaL ist eine metaphorische Figur, die in verschiedene Rollen schlüpft, im Geschehen involviert ist, unscheinbar, mit immer anderem Gesicht. Wie der Tod. Madame TromaL ist rätselhaft, eine Grenzgängerin. Sie ist todesverwandt und steht mitten im Leben. Die Bühne löst sich von realen Räumen, ist Innenraum. „Fassbare Materie“ kommt nur dosiert ins Spiel. Stattdessen treten die Dinge in Erscheinung, die unsichtbar, jedoch genauso anwesend sind. Es ist eine Art Umkehrung. Madame TromaL kommt aus dieser umgekehrten Welt.

Fotos: Georg Bresser / Arndt Sellentin