Inszenierung

La Traviata

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„Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft gleicht dem Fliegen.“
Oper von Giuseppe Verdi / Francesco Maria Piave
Musikalische Leitung: GMD Johannes Rieger
Inszenierung: Susanne Knapp
Ausstattung: Susanne Bachmann

Nordharzer Städtebundtheater 2012
Premiere: 24. Februar 2012, Halberstadt

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Zwischen Traum und Alptraum – Ein Gespräch mit Susanne Knapp

Susanne Range: Romanvorlage von Verdis „la traviata“ ist Dumas‘ berühmte „Kameliendame“, die auf die männliche Doppelmoral des 19. Jahrhunderts fokussiert: Kurtisanen sind in der Pariser Gesellschaft kein Thema, aber Mann geht hin. Giorgio Germont kann einer ehelichen Verbindung seines Sohnes Alfredo mit der stadtbekannten Kurtisane Violetta Valéry nicht zustimmen. Sterbenskrank erfährt Violetta erstmals in ihrem Leben eine Liebe, die so groß ist, dass sie aus Liebe auf die Liebe verzichtet. Denn der Vater Alfredos überzeugt Violetta davon, sich von ihrem Geliebten abzuwenden, um dessen Karriere und Lebensglück nicht zu zerstören. Das Glück der Liebenden scheitert an den familiären Ressentiments. Die Liebe selbst jedoch überdauert Lüge und Krankheit… Ein tragischer, vielschichtiger Stoff, aus dem Verdi mit seiner „traviata“ eine eindrucksvolle musikalische Referenz an die Liebe mit unvergesslichen Arien formte. Was interessiert Sie als Regisseurin besonders an dieser viel gespielten Verdi-Oper? Und welche inszenatorischen Konsequenzen resultieren daraus?

Susanne Knapp: Für mich ist entscheidend, dass es sich hier um eine sehr intime Geschichte, eine Art Kammerspiel zwischen drei Menschen – Alfredo, Violetta und Germont – handelt, das einer permanent lauten Außenwelt gegenübersteht. Diese Beschränkung auf größte Privatheit, Gefühlsintensität und Intimität gegenüber der Außenwelt finde ich sehr interessant.
Naheliegend erscheint mir zudem, die Geschichte durchgehend aus der Perspektive Violettas zu erzählen. Sie ist die fast durchgängig in der Oper präsente Protagonistin, der nur noch ein paar Monate Lebenszeit bleiben. Das wird permanent geäußert, sei es in Worten, sei es in der Musik. Und das hat entsprechende inszenatorische Konsequenzen für mich. Jeder besitzt ja seine eigene, ganz subjektive Wahrnehmung. Und es stellt sich natürlich immer die Frage: Was ist Wahrheit? Was ist Realität?
Man kann ja durchaus behaupten, dass die subjektive Wahrheit, die ein Mensch wahrnimmt, Realität wird. Und so wie Violetta das Geschehen wahrnimmt, gleicht es letztlich einem Alptraum, den zunehmend merkwürdige Gestalten, groteske Figuren, irreale Wesen bevölkern. Träume verschaffen sich sozusagen Präsenz, greifen über.
Außerdem stand für mich als zentrale Frage im Raum: Was ist ein starkes metaphorisches Bild für Zukunft? Als Antwort drängte sich uns auf: Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft gleicht dem Fliegen. Man ist im wahrsten Sinne des Wortes ‚beflügelt‘. Die Liebe kann Flügel verleihen, die den Weg in den Himmel eröffnen.
Unsere Inszenierung hat sich insofern von dem archaischen, teilweise ins Surreale und Groteske übersetzten Bild des Vogels inspirieren lassen. Und das besitzt bekanntlich viele Facetten: sei es als Schwan, Paradiesvogel, Rabe oder Krähe. Diese beredte wie zeitlose Metaphorik ist insbesondere auch für das Kostümkonzept von Ausstatterin Susanne Bachmann in unserer Produktion relevant.

Range: Sie haben das Alptraumhafte der Geschichte Violettas erwähnt. Beziehen Sie das auch auf Violettas Begegnung mit Alfredo?

Knapp: Nein, keinesfalls. Es gibt Menschen, die in uns etwas berühren, weil sie anders sind. Alfredo ist überwältigt von der Authentizität Violettas. Ihre schöne ‚Oberfläche‘ ist dagegen zweitrangig. Diese Glaubhaftigkeit möchte ich Alfredo nicht absprechen. Insofern erscheint mir die Liebe zwischen Violetta und Alfredo wenig projektiv. Es ist wirklich eine große Liebesgeschichte! Die Liebe ist nur stark, wenn sie wahrhaftig ist. Insofern darf Alfredo auch in unserer Inszenierung der sein, der er behauptet zu sein: ein Mann, der Violetta leidenschaftlich und ‚besitzergreifend‘ liebt.

Range: Wie wirkt Verdis traviata-Musik auf Sie?

Knapp: Ich bewundere ihre Wahrhaftigkeit und Vielschichtigkeit. Und wo gestorben wird, wird bei Verdi erst mal getanzt. Seine Musik ist sehr körperlich, sehr theatralisch, vielschichtig. Je tiefer man gräbt, desto mehr Dimensionen treten zutage. Verblüffend ist: Man könnte alles immer wieder anders interpretieren. Aber gerade das ist doch das Spannende an der Auseinandersetzung mit dieser Partitur! Inszenieren heißt Entscheidungen zu treffen – als Annäherung im Hier und Jetzt. Wesentlich ist Wahrhaftigkeit.

Das Gespräch führte Susanne Range, Chefdramaturgin am Nordharzer Städtebundtheater

Fotos: Max Messer